Die Anklage - Zum Offenen Brief gegen den Produzenten Martin Moszkowicz
Zum Offenen Brief gegen den Produzenten Martin Moszkowicz, den 16 Filmverbände pünktlich zur Vergabe des Carl Laemmle Produzentenpreises an ihn initiiert haben, erreicht uns ein Gastbeitrag von Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, in dem er den Preisträger gegen diese Form der Kritik in Schutz nimmt.

Wie berichtet, ist Martin Moszkowicz, Produzent und langjähriger Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG, mit einem Offenen Brief konfrontiert, der im Namen von 16 Filmverbänden erging. Ihm wird vorgeworfen, nicht für zureichende Arbeitsbedingungen auf Filmsets mit Til Schweiger gesorgt zu haben.
Wie berichtet, ist Martin Moszkowicz, Produzent und langjähriger Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG, mit einem Offenen Brief konfrontiert, der im Namen von 16 Filmverbänden erging. Ihm wird vorgeworfen, nicht für zureichende Arbeitsbedingungen auf Filmsets mit Til Schweiger gesorgt zu haben.
Man muss die Filme nicht mögen, die er verantwortet hat, die Leute nicht, die er unterstützt hat. Man kann ihm vorwerfen, dass er das Fördersystem, das in diesem Land künstlerisch gesehen kaum nennenswerte Filme entstehen lässt, zu seinem Vorteil zu nutzen verstand. Darüber war mit ihm Streit nötig und auch möglich. Der Carl Laemmle Produzentenpreis, mit dem er nun geehrt wird, wird aber weder für gesellschaftliches Engagement noch für künstlerische Qualität vergeben. Er gilt der filmwirtschaftlichen Bedeutung und entspricht damit auch der Zielsetzung des deutschen Filmförderungsgesetzes. Kurz gesagt: Der Mann versteht etwas vom Geschäft.
Warum also ein Offener Brief gegen den Preisträger? Je politisch wirkungsloser die Filmverbände agieren, desto lauter treten sie auf in korporativem Beharrungsvermögen. Das Auftreten erweckt den Eindruck von Gewicht, das man faktisch nicht hat. Symbolpolitik ist die Schrumpfform bürgerlicher Kultur, die sich in zivilgesellschaftlichen Bandenkriegen zeigt, insbesondere in der Filmbranche, in der es so viel Geld zu verteilen gibt. Die zeichnenden Verbände verweisen auf ihre Mitgliedszahlen, die sie wie eine Meute auf die Beute loslassen: 16 Verbände, die angeblich rund 5.000 Mitglieder vertreten, ziehen hier gegen eine Person zu Felde. Ihre Waffe ist der Offene Brief, der heute gegen alles und jeden verschickt wird, wenn einem etwas nicht passt, im unerschütterlichen Glauben, selbst über alle Zweifel erhaben zu sein. Das sind nicht sehr feine Methoden im Dienst der feinsten Anliegen, weil Ressentiments bewirtschaftet und Juryentscheidungen delegitimiert werden. Das ist kaum weniger problematisch als das, was man dem Delinquenten vorwirft. Der Offene Brief wirkt wie ein Volksgericht, und das äußert Zweifel, die vor keinem anderen Gericht bestehen müssen, ob eine Person „preisverdächtig“ sei. So werden klar definierte Angelegenheiten des Rechts oder demokratischer Urteilsfindungen zu diffusen Angelegenheiten von Interessengruppen.
Der Offene Brief als Genre kulturpolitischer Auseinandersetzungen gibt bündig Auskunft über den Stand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und die Erosion von Kriterien im Umgang mit Film in diesem Land. Weder hat man für wirtschaftlichen Erfolg noch für künstlerische Qualität Maßstäbe, über die eine Verständigung die Mühe des Aufwands noch lohnte. Und das hat Gründe: Die Filmbranche erzeugt immer mehr und immer komplexere Teilhabeansprüche, die befriedigt werden müssen. Immer mehr Menschen wollen in sogenannten Kreativberufen arbeiten. Daher sind nicht künstlerischer oder wirtschaftlicher Erfolg der Akteure mehr von Belang, sondern allenfalls „das gesundheitliche und emotionale Wohlbefinden von Filmschaffenden“, die sich tendenziell übervorteilt und schlecht behandelt fühlen. Und die lückenlose parentale Versorgung bzw. „Fürsorgepflichten“ von „Arbeitgeberinnen“ (sic) reklamieren, an die man sie ja geduldig gewöhnt hat, wogegen andere mögliche Maßstäbe an den Film, etwa ob man den Ergebnissen gegenüber noch das geringste Interesse aufbringen kann, rapide an Bedeutung verlieren. Anwachsende Ausbildungsstrukturen erzeugen bei vielen Klienten offenbar ein Illusionspanorama, wonach mit Medien auch dann sozialer Aufstieg widerspruchsfrei möglich wäre, wenn man von Kunst und Geschäft nichts oder nicht genug versteht. Ein solches System muss also in den Verteilungskämpfen ständig neue Maßstäbe hervorbringen und durchsetzen.
Dass sich Filmverbände in den letzten Jahren vervielfacht haben und kaum noch berufsständische Interessen vertreten, ist Ausdruck dieser Entwicklung und findet Ausdruck auch in der Liste der Absender. Im kulturellen Feld ist mittlerweile anscheinend jede Regung Gegenstand von Erregung, eines „Moralspektakels“, wie der Philosoph Philipp Hübl jüngst in seinem gleichnamigen Buch feststellte. Man kann das seit Jahren schon an den Diversitäts-Listen von Filmförderern oder an undefiniert allgemeinen Ansprüchen ablesen, man möge im Film fair oder gerecht agieren. Das befördert eher konformes als mündiges Verhalten. Die Entgrenzung von Begriffen wie Diversität und Rassismus, die Ausweitung der Kampfzone kommt dabei zur Hilfe. Daher sieht man sich hier nicht mehr als Mitbewerber um Fördermittel, sondern als „Sozialpartner“, die fortschreitende soziale Konflikte, die sich auch in der Filmbranche krass spiegeln, nicht mehr benennen müssen als das, was sie sind: Ausdruck eines Problems von allen, sondern als moralische Verfehlung von einzelnen, die Ächtung verdient.
Besonders unangenehm wird dieser Offene Brief gegen den Juden Martin Moszkowicz, der den nach einem jüdischen Produzenten benannten und nicht unbeträchtlich dotierten Preis erhält, weil gesellschaftliche virulente Ressentiments ungebremst durchgeleitet werden, also Großerzählungen über Macht, Vorwürfe wie „Machtmissbrauch“ oder die Begünstigung von „toxischen Arbeitsbedingungen“, die „physische und psychische Gesundheit gefährden“, kurz Ausbeutung genannt, hier ad personam. Wir alle wollen uns in Arbeitsverhältnissen wohlfühlen. Es darf jedoch vermutet werden, dass bei Produktionen der Constantin Film regelmäßig weitaus besser bezahlt wird, Arbeitszeiten und Schutzmaßnahmen weitaus besser eingehalten werden als im Branchendurchschnitt. Zumindest wäre der Gegenbeweis noch zu erbringen.
Ein solcher Brief gegen einen Einzelnen ist in der Filmbranche wohl beispiellos. Und dass man von Mitte Januar bis jetzt, also rechtzeitig zur Preisverleihung am 16. Mai vier Monate benötigt hat, ihn zu versenden, macht ihn so unhöflich. Achtsamkeit, von der ständig die Rede ist, wird hier nicht entgegengebracht. Gesellschaftliche Widersprüche eines Systems, zu deren Auflösung strukturierte bürgerliche Interaktion in einem Rechtsstaat nötig wäre, werden aus der fiktiven Gemeinschaft ausgegrenzt und auf Täterfiktionen übertragen, weil man sich einen politischen Begriff des Problems gar nicht mehr zutraut. In welchem Umfang Til Schweiger sich justitiabel verhielt und Martin Moszkowicz dies duldete, mögen Gerichte entscheiden; sie allein haben den Auftrag dafür. Ein Offener Brief anlässlich einer Ehrung ist nicht das geeignete Mittel.
Der Offene Brief fordert von der Ausrichterin, der Produktionsallianz, sie möge – darunter tut man es nicht –: „ein starkes Signal des Respekts“ geben und das Preisgeld einsetzen, „um die Arbeitsbedingungen in unserer Branche nachhaltig zu verbessern“. Die Spende in Höhe von 40.000 Euro, mit der das ermöglicht werden soll, wird von den Verbänden sicherlich gerne entgegengenommen. Und damit wäre dann endlich alles besser, auf jeden Fall für die „physische und psychische Gesundheit“.