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Nachrichten für Filmschaffende – der Branchennewsletter von Crew United
#776 vom 14. August 2025
Das Titelthema: Die Kunst des Sehens

Die weiteren Themen: Filmemachen | Stream | Förderung | Termin
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Thema

Wim Wenders in Sydney, 1984. | Foto © Wim Wenders

Die Kunst des Sehens

Wim Wenders wird heute 80, die Bundeskunsthalle in Bonn feiert das mit einer Ausstellung, ergänzt durch eine Filmreihe „Wenders in Motion“. Der Regisseur selbst und das Deutsche Filminstitut in Frankfurt haben tüchtig mitgeholfen, aber Filme haben es im Museum nun mal nicht immer leicht, überlegt Boris Pofalla in der „Welt“:
„Gewohnt zu wandeln und wie ein Jäger nach visueller Beute Ausschau zu halten, muss der Rezipient für das bewegte Bild längere Zeit sitzenbleiben, auf einer harten Bank, oder, wenn man Glück hat, in einem Sitzsack, der einem die Körperspannung einer Qualle verleiht und entsprechend unvorteilhaft aussehen lässt. Es fehlt die Höhle, es fehlt die Gemeinschaft der Kinogänger, es fehlt auch das Popcorn. Wenn man Film als Kunst zeigen will, geht das eigentlich nur im Kino.“
Aber irgendwie doch auch im Museum. Denn durch die Ausstellung führt der „sehr bekannte“ Regisseur höchstselbst, „als Stimme im Audioguide, sodass man gleich mehrere Ebenen von Wenders übereinander geschichtet präsentiert bekommt – die Vorarbeiten und Paraphernalien des Drehs, Fotos vom Set, Filmausschnitte, seine und andere Kommentare, die Einordnung durch Wandtexte, die Rezeption und im hintersten Raum die Trophäen und Preise.“  Wodurch der Rundgang zu noch tieferen Überlegungen führt: „Es ist der Sog der Zeit, der aus diesen Bildern herausgreift, und dann wird einem bewusst, dass das ja alles hier längst vergangen und niemals wiederzubeschaffen ist: die mit der Schreibmaschine getippten Skripte und die Kindheitserinnerungen aus der Trümmerzeit, der ungebrochene Glaube an Gefühl und Ausdruck, an Rock’n’Roll, Sinnsuche und Selbsterfahrung, die Sehnsucht nach Amerika und Frankreich. Der klassische deutsche Nachkriegsweltschmerz ist dabei auszusterben, mitsamt seinen Bluesgitarren, 35-Millimeter-Kopien und den schönen alten Autos. Wim Wenders hat früh einen Sinn für Orte bewiesen, die bald darauf verschwinden würden, wie das West-Berlin des Jahres 1987.“
Man brauche einen langen Atem, „wird aber mit einem besseren Verständnis des Werks belohnt“, findet Alexandra Wach mit wachsender Begeisterung im „Filmdienst“. „Einen visuell überwältigenden Paukenschlag gönnt er sich kurz vor Schluss mit einer gigantischen immersiven Rauminstallation, die er auf acht Meter hohen Wänden eigens als ein von Musik verstärktes 360-Grad-Filmerlebnis montierter Filmsequenzen konzipiert hat. Die hypnotisierende Kathedrale bietet eine knapp halbstündige Kompilation einer Auswahl seiner Filme, darunter die Konzertszene von Nick Cave aus ,Der Himmel über Berlin‘, inklusive nicht verwendeter Teile, Harry Dean Stanton mit roter Kappe laufend durch die Wüstenhitze oder eine Hommage an die junge Nastassja Kinski in der Peep-Show-Szene in ,Paris, Texas‘, die durch Wiederholungen von Gesten und Blicken eine neue Qualität bekommt.“
„Die Filme des deutschen Regisseurs haben etwas Meditatives“, lobt Marisa Buovolo in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [Bezahlschranke]. „Seine Filme folgen Menschen, die unterwegs sind: zwischen Ländern, zwischen Lebensphasen, oft zwischen sich selbst und der Welt. Doch geht es Wenders nicht um das Ziel, sondern ums Dazwischen. Seine Kamera hält inne, beobachtet, schweigt mit – ein Kino, das nicht erklärt, sondern erspürt. […] Dabei verströmen sie eine seltsame Ruhe: Es ist ein Kino des Schweifens, ein Kino des Hörens und Sehens. Und immer wieder: ein Kino der Zusammenarbeit. Denn sosehr Wenders’ Filme von einer persönlichen Handschrift geprägt sind, so wenig versteht er sich als Solist. Tatsächlich lässt sich sein Werk besser mit dem Blick des sogenannten Post-Auteurismus verstehen – einer Theorie, die das traditionelle Bild des Regisseurs als alleiniger Autor hinterfragt. Stattdessen rückt sie die künstlerische Kollaboration in den Mittelpunkt, das Zusammenspiel verschiedener Stimmen, Disziplinen und kreativer Kräfte, die einen Film gemeinsam prägen. […]
Wenders hat über Jahrzehnte hinweg genau so gearbeitet – und das mit beeindruckender Konsequenz. Robby Müller war nicht bloss Kameramann, sondern visueller Mitautor vieler zentraler Filme von Wenders. […] Ähnliches gilt für Peter Handke, der die poetischen Monologe in ,Der Himmel über Berlin’ verfasste – Texte, die dem Film jene leise Melancholie und existenzielle Tiefe geben, für die er so gefeiert wurde. […] Um die Darsteller legt sich ein stilles Geflecht aus Licht, Requisiten und Stoff, das auch von aussergewöhnlichen Kollaborationen mit begnadeten Kostümbildnern erzählt.“
Die Ausstellung läuft bis 11. Januar 2026, täglich (außer Montag) 10 bis 18 Uhr (Mittwoch bis 21 Uhr). Bundeskunsthalle Bonn

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Filmemachen

„Chantal im Märchenland“ (2023). | Foto © Constantin

Elitenförderung

Die Not der Branche haben auch die Öffentlich-Rechtlichen bemerkt. „Ist die deutsche Filmbranche am Ende?“ fragte diese Woche das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“. Weil nämlich „die Politik die Produktionsfirmen unter anderem systematisch ins Ausland vertrieben hat.“
In zehn Minuten wird fürs fachfremde Publikum allerlei abgehandelt, der Einführungskurs geht also nicht sehr in die Tiefe. Hauptgrund für den Exodus: Alle müssen sparen, die Nachbarländer locken mit Steueranreizen. Die waren zwar auch für Deutschland geplant, doch Bund und Ländern wurden sich nicht einig. Stattdessen gibt’s jetzt mehr Geld, aber „der Befreiungsschlag bleibt aus“, meint der Produzent Marcel Lenz. 
Was nicht berichtet wird: Die Öffentlich-Rechtlichen machen dabei mit und lassen Auftragsproduktionen im Ausland drehen. Und nicht nur die Steuersätze sind ein Anreiz zur Produktionsflucht, sondern auch Billiglöhne und dehnbare Arbeitszeiten.
Vom aktuellen Fördersystem profitieren jedenfalls nur „zwei Dutzend Unternehmen“, meint Markus Vogelbauer, Geschäftsführer von International Film Partners, im Newsletter von Ensider. Schon das neue Referenzsystem bedeute „insbesondere eine Stärkung der großen Häuser. Die höhere Schlagzahl der Projekte bietet höhere Chancen auf Besuchererfolge.  Das kann man so machen. […] Im Sport hat man jedoch vielfach erkannt, dass es nachhaltigen Spitzensport nur durch Breitenförderung geben kann.“ 
Dazu gehörten nachhaltige Rahmenbedingungen. Deshalb brauche es nicht mehr Geld für die Produktionsförderung, sondern Steueranreize. Denn die „fördern Ausgaben in lokale Filminfrastruktur und die Beschäftigung von Filmschaffenden, möglichst über alle Gewerke bis zur Postproduktion. Während Produktionsunternehmen vergleichsweise wenige Festangestellte beschäftigen und auch nur geringe Investitionen in die Infrastruktur tätigen, wird so eine stabile Infrastruktur für die Filmwirtschaft geschaffen. […] Deutschland bündelt die Macht faktisch bei Produktionsunternehmen und wenigen, sehr großen Dienstleistungsunternehmen. Ein System, dass wir aus Zeiten der strukturierten Medienfonds kennen. Produzent*innen entscheiden jedoch, wo ein Film produziert wird. Meistens wird hier insbesondere nach bestem Preis-Leistungsverhältnis beziehungsweise Förderquote entschieden. […] Der Staat hat sein Regulativ aufgegeben und in die Hände der Produktions-Branchenführer gelegt.“  

Gruppenfoto mit Förderung am Set von „The Weight“. | Foto © Luis Zeno Kuhn/WE Film

Mittelstandsförderung 

Im Bayerischen Wald wird ein amerikanischer Film gedreht. Mit einer Crew von 130 Leuten „und international bekannten Schauspielern wie Russell Crowe und Ethan Hawke“, berichtet Renate Roßberger beim BR. „The Weight“ sei „eine Mischung aus Thriller und Abenteuerfilm, der im Jahr 1933 im amerikanischen Oregon spielt.“ Viel mehr weiß sie von Dreharbeiten der deutsch-amerikanischen Koproduktion nicht zu erzählen, denn die „laufen abgeschirmt“.
Dafür verriet ihr aber der Produzent Jonas Katzenstein, wieso er ausgerechnet hier die ideale Kulisse für den Nordwesten der USA sieht: „Es gebe in Deutschland ,eine sehr gute Filmförderung’. Die amerikanische Filmindustrie mache ,eher die ganz großen Spielfilme oder die ganz kleinen Genrefilme.’ ,The Weight’ sei dagegen ein Qualitätsfilm im mittleren Budgetbereich. ,Und dafür ist Deutschland einfach super. Wir haben eine wahnsinnig gute Filmförderung in Deutschland, auch in Bayern’, gerade auch für internationale Filme. Vom Gesamtbudget des Films, das zwischen 10 und 15 Millionen Euro liegt, komme rund die Hälfte des Geldes aus Deutschland. Der Filmfernsehfonds Bayern unterstützt ,The Weight’ zum Beispiel mit zwei Millionen Euro.“ 

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Stream

„Jersey Girl“ (2004). | Foto © Miramax

Eine Letze ihrer Art

Einst sprossen mal die Videotheken im ganzen Land. Fast alle wurden weggefegt durch die Streamer. In Berlin-Kreuzberg trotzt das „Videodrom“ dem Zeitgeist. Wo es früher ein zehnköpfiges Team gab, stehen Graf Haufen und seine Partnerin Christine heute allein im Laden, schreibt Katharina Böhm in der „Taz“. Die Videothek sei mehr als eine Sammlung von Filmen, aber das „sehen viele nicht, und das zu kommunizieren, ist wahnsinnig schwierig. Zumal es auch abprallt, weil die Bequemlichkeit siegt. Man sitzt auf dem Sofa, drückt einen Knopf und dann läuft irgendein Film“, erklärt Haufen das Grundproblem im Interview. „Deshalb funktioniert ein Format wie Netflix. Denn wenn man sich die Qualität des Contents anguckt, ist die relativ gering. Gerade die Eigenproduktionen, gerade auch die Serien. Es gab immer mal welche, die wirklich toll waren. Aber mittlerweile wird das Produkt nur noch danach geformt, wo man das Publikum vermutet.“
Deshalb würden „verstärkt auch jüngere Leute kommen. Die sagen etwa ,Netflix, Amazon Prime, alles ganz schön. Aber man findet die Sachen nicht, die man sucht, oder sie sind nicht mehr verfügbar.’ Was sich in den letzten 40 Jahren grundlegend verändert hat, ist die Bereitschaft, selbstständig tiefer zu buddeln. Angenommen, jemand hat einen Film von Howard Hawks geguckt, fand den super, fragt sich, was hat der noch gemacht? Dann einfach mal 20 Filme aus seinem Oeuvre zu gucken, das passiert nur noch ganz selten. […] Film ist Risiko. Darauf muss ich mich einlassen. Früher haben sich Leute aufgrund der Cover entschieden, etwas auszuleihen. Wir empfehlen ja Filme, die wir gut finden, und merken: Viele gehen nur noch danach.“ 

Förderung

„Head Full of Honey“ (2018). | Foto © Gordon Timpen/Warner Bros.

Branche in der Klemme

Ab nächstem Jahr ist Filmdeutschland wieder bereit für den internationalen Wettbewerb, hat Kulturstaatsminister (BKM) Wolfram Weimer versprochen. Falls seine Haushaltsplanung aufgeht, herrschen dann „ideale Rahmenbedingungen für wirtschaftlich und kulturell erfolgreiche Blockbuster made in Germany.“  Nun sind „Blockbuster“ schon ein ziemlicher Anspruch an jede Filmbranche, und „wirtschaftlich und kulturell erfolgreich“ eine seltene Kombination – zu alledem auch noch „international“! Anderseits liegt die Latte auch ziemlich tief, berichtet Susanne Gietl beim „Filmdienst“: „Deutsche Hits sind keine Exportschlager“. 
Wie deutsche Filme im In- und Ausland wahrgenommen werden, hat der britische Datenanalyst Stephen Follows untersucht. Bei den Produktionen der vergangenen 25 Jahre „kristallisieren sich neun Hauptthemen mit einem klaren Überhang an privaten Stoffen heraus. Ganz oben auf der Skala stehen in Deutschland Geschichten über Familie und Beziehung (mit knapp 60 Prozent) sowie Gesellschaft und Gesellschaftskritik, die in etwa jedem zweiten Film auftauchen. Mit je über 40 Prozent folgen die Themen ,psychologischer und existenzieller Kampf’ sowie geschichtliche Ereignisse, Fragen der Erinnerungskultur und Traumata. […]
Das klingt nach großer thematischer Vielfalt. Was die Genre-Formen angeht, in denen diese Themen verhandelt werden, zeigt sich indes seit der Jahrtausendwende eine Dominanz der Komödie – sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption. Seit den 2000er-Jahren beherrschen deutschsprachige Komödien mit etwa 70 Prozent der Einspielergebnisse den heimischen Markt. Neun von zehn der erfolgreichsten deutschen Produktionen der letzten 25 Jahre sind Komödien. […]
Ein ganz anderes Bild zeigt der Blick auf die internationalen Einspielergebnisse dieser Filme“ – in den USA und Kanada spielten diese Top Ten nur etwa einem Prozent ihrer gesamten Ergebnisse ein, in Europa ist es nicht viel besser: „Das Komödien-lastige deutsche Kino findet primär in den deutschsprachigen Ländern statt, führt andernorts weitgehend ein Nischendasein.“
Follows sah sich aber auch Erfolge an: „Mit knapp über zehn Prozent zählen ernste Dramen in Deutschland wahrlich nicht zu den Kinohits; in den USA und Kanada hingegen machten sie in den letzten 25 Jahren im Schnitt rund 70 Prozent der gesamten Einnahmen für deutsche Filme an den Kinokassen aus. Ähnlich verhält es sich bei Filmen mit einer einzigartigen oder historischen Perspektive: In den USA und Kanada punkten sie mit einem 85-prozentigen Anteil; auf heimischem Grund zählen sie nur wiederum knapp über 10 Prozent. Die dritte von Follows untersuchte Gruppe sind ,Filme mit einem starken moralischen oder ethischen Dilemma’. In Deutschland fällt ihr Anteil sogar unter die 10-Prozent-Marke; in den USA und Kanada hingegen kommen sie auf etwa 55 Prozent. Das alles deutet darauf hin, dass die Exportchance deutscher Filme umgekehrt proportional zu den nationalen Besuchervorlieben liegt. Die deutsche Filmbranche steckt in der Klemme!“ 

Termin

Foto © Pavel Broz/FSFF

Kinokunst vor Seenlandschaft

Zum Abschluss noch ein Ausblick auf den Spätsommer. Am 9. September eröffnet in Starnberg das Fünf-Seen-Filmfestival (FSFF). Acht Tage lang gibt es mehr als 100 Filme aller Längen und Formate zu sehen, und in diesem Jahr soll es auch wieder Freiluftaufführungen geben. 
Beim Festival wird auch der „Hannelore-Elsner-Preis“ verliehen – Leonie Benesch ist die siebte Schauspielerin, die damit ausgezeichnet wird. Zur Preisverleihung läuft ihr jüngster Film „Heldin“, in einer kleinen Hommage  werden zudem „Das weiße Band“, „September 5“ und „Das Lehrerzimmer“ gezeigt. 
Verbindungen gibt’s durch die Titel auch mit den anderen Ehrengäste und deren Werkschauen: die Regisseurin Petra Volpe („Die Göttliche Ordnung“) diskutiert in einem Panel über das Filmland Schweiz; der Schauspieler Rainer Bock lädt zur Kabarettlesung; und der Editor Hansjörg Weißbrich wird eine Masterclass halten und in der Jury für den „Fünf-Seen-Filmpreis“ sitzen. 

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